Embryonale Entwicklung des Urogenitalsystems

Das Urogenitalsystem entwickelt sich aus dem intermediären Mesoderm Mesoderm Gastrulation und Neurulation der dreiblättrigen Keimscheibe. Das intermediäre Mesoderm Mesoderm Gastrulation und Neurulation differenziert sich in nephrogene Stränge (die später das Harnsystem bilden) und einen angrenzenden Bereich, der als Gonadenkamm bezeichnet wird (der später die Gonaden bilden wird). Die nephrogenen Stränge verlängern sich in kaudaler Richtung und entwickeln nacheinander 3 verschiedene Strukturen: die Pronephros (rudimentär und nicht funktionsfähig), die Mesonephros (bildet das primitive Harnsystem) und die Metanephros (bildet die spätere Niere). Gleichzeitig entwickelt sich das Genitalsystem in enger Verbindung mit dem Harnsystem. Die genitale Entwicklung hängt vom chromosomalen Geschlecht ab, das bestimmt, ob sich die primitiven Keimdrüsen Keimdrüsen Endokrines System: Überblick in Hoden Hoden Hoden oder Eierstöcke differenzieren. Die Gonaden sezernieren dann bestimmte Hormone Hormone Endokrines System: Überblick, die die weitere Entwicklung sowohl der inneren als auch der äußeren Genitalstrukturen steuern.

Aktualisiert: 26.06.2023

Redaktionelle Verantwortung: Stanley Oiseth, Lindsay Jones, Evelin Maza

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Frühe embryonale Entwicklung

Zweiblättrige Keimscheibe

Entstehung um die 2. Woche der Embyonalentwicklung:

Dreiblättrige Keimscheibe

Schichten:

Schichten der trilaminaren Scheibe

Schichten der dreiblättrigen Keimscheibe

Bild von Lecturio.

Faltungen

  • Faltung der dreiblättrigen Keimscheibe in 2 Richtungen:
  • Schlüsselstrukturen für die urogenitale Entwicklung in dieser Phase:
    • Intermediäres Mesoderm Mesoderm Gastrulation und Neurulation → entwickelt sich zu:
      • Nephrogene Stränge → weitere Bildung des Harnsystems
      • Gonadenkamm (Bereich neben den nephrogenen Strängen) → weitere Bildung des Stromagewebes der Gonaden
    • Urkeimzellen:
      • Stammen aus Epiblastzellen
      • Wanderung der Zellen in den Dottersack
      • Anschließend Wanderung entlang der Allantois zum Gonadenkamm
      • Bildung der Spermatozoen oder Oogonien
Querschnittsansicht des frühen Embryos

Querschnittsansicht des frühen Embryos

Bild von Lecturio.

Embryologische Entwicklung des Harnsystems

Die Niere entwickelt sich aus embryonalem Mesoderm Mesoderm Gastrulation und Neurulation in 3 aufeinanderfolgenden Formen aus den nephrogenen Strängen, während sich die Stränge in kranio-kaudaler Richtung verlängern.

Hinweis: Diese Animation hat keinen Ton.

Pronephros

  • Bildung in der 4. Woche als Ansammlung eines Tubulus und einiger Zellen (Nephrotome)
  • Entwicklung in nephrogenen Strängen im Halsbereich
  • Rudimentär und nicht funktionsfähig
  • Degeneration bis Ende der 4. Woche (Bestehen < 1 Woche)
  • Zweck unklar → möglicherweise „Gerüst“ für die folgenden Strukturen (Mesonephros)
Entwicklungslage von Pronephros, Mesonephros und Metanephros im sich entwickelnden Embryo

Entwicklungslokalisation von Pronephros, Mesonephros und Metanephros im sich entwickelnden Embryo

Bild von Lecturio.

Mesonephros

  • Beginn der Entwicklung zeitgleich mit Rückbildung der Pronephros um die 5. Woche
  • Meist Rückbildung der Mesonephros in der 10. Woche
  • Entstehung tiefer, in der thorakolumbalen Region
  • Verbindung mit der Kloake am kaudalen Ende der primitiven Darmröhre
  • Besteht aus:
    • Ein longitudinaler Ductus mesonephricus Ductus mesonephricus Niere (auch Wolff Gang genannt)
    • Abgang einiger Tubuli von diesem Hauptgang mit Wachstum in Richtung der Aorta
  • Wachstum kleiner glomerulärer Gefäße posterior von der Aorta zu den mesonephrischen Tubuli und Bildung der primitiven Nierenkörperchen:
    • Wachstum der mesonephrischen Tubuli um die glomerulären Kapillaren Kapillaren Kapillaren herum und Bildung der Bowman-Kapseln (letztendlich auch Rückbildung dieser)
    • Entstehung des primitiven Harnsystems
  • Beginn der Blutfiltration:
  • Mesonephros nur zwischen 5.–10. Woche vorhanden (dann Funktionsübernahme durch Metanephros → Dauerniere
  • Fortbestehen der Ducti mesonephrici bei Männern und Bildung eines Teils des männlichen Fortpflanzungssystems
Grafische Zusammenfassung des Mesonephros

Grafische Zusammenfassung der Mesonephros:
Die nephrogenen Stränge (primäre Nierengänge) verlängern und verbinden sich mit der Kloake. Mesonephrische Tubuli wachsen treppenförmig und fungieren als primitives Harnsystem, während sich die definitive Niere aus der Metanephros weiter kaudal im wachsenden Becken entwickelt.

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Metanephros

Die bleibende Niere wird aus der Metanephros gebildet.

  • Entwicklungsbeginn ab etwa der 5. Woche
  • Differenzierung von Zellen im intermediären Mesoderm Mesoderm Gastrulation und Neurulation in der Beckenregion in eine Struktur namens metanephrisches Blastem:
    • Weiterentwicklung zu den Zellen der Nephrone
    • Freisetztung von Wachstumsfaktoren → Ausstülpung des kaudalen Teils des Ductus mesonephricus Ductus mesonephricus Niere, sogenannte Ureterknospen
  • Wachstum der Ureterknospen in Richtung des metanephrischen Blastems und Eindringen in dieses:
    • Entwicklung des verlängerten Stiels der Ureterknospe zum Ureter
    • Verzweigungen der Ureterknospen innerhalb des metanephrischen Blastems und Bildung von Folgendem:
      • Nierenbecken
      • Hauptkelche/Calices renales majores
      • Calices renales minores
      • Sammelrohre
  • Metanephrische mesodermale Kappe:
    • Mesoderm Mesoderm Gastrulation und Neurulation aus dem metanephrischen Blastem „auf“ den sich entwickelnden Sammelrohren sitzend
    • Verlängerung und Bildung des tubulären Systems der Nephrone → Bezeichung als metanephrischer Tubulus
    • Verschmelzung des metanephrischen Tubulus mit dem Sammeltubulus → Entstehung eines kontinuierlichen Systems
  • Bowman-Kapsel Bowman-Kapsel Niere: Entstehung aus wachsendem Ende des metanephrischen Tubulus
  • Glomeruläre Kapillaren Glomeruläre Kapillaren Niere:
  • Bildung weiterer Nephrone bis zur Geburt
  • Fortsetzen der Reifung des Nephrons nach der Geburt

Lage der Niere und Veränderungen der Gefäßversorgung

  • Lokalisation der Nieren Nieren Niere zunächst im Beckenbereich
  • Während des kaudalen Wachstum des Körpers → relatives „Aufsteigen“ der Nieren Nieren Niere in die oberen Quadranten des Abdomens (ausbleibende Nierenascendens als Ursache einer Beckenniere)
  • Während des Ascensus renalis Degeneration der ursprünglichen Blutversorgung
  • Ausbildung neuer Gefäße (weiter kranial) aus der Aorta → Eindringen in die Nieren Nieren Niere und Reifung zu Nierenarterien
  • Bei fehlerhafter Rückbildung der ursprünglichen Gefäße Entstehung von zusätzlichen Nierenarterien oder -venen
Aufstieg der Nieren und entsprechende Veränderung der Gefäßversorgung

Ascensus renalis und entsprechende Veränderung der Gefäßversorgung

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Entwicklung von Harnblase und Harnröhre

Aufteilung der Kloake zwischen der 4. und 7. Entwicklungswoche:

  • Sinus urogenitalis:
    • Aus dem anterioren Teil der Kloake
    • Verbindung mit den Harnleitern und Ducti mesonephrici
    • 3 Abschnitte des Sinus urogenitalis:
      • Proximal (größter) → Harnblase
      • Mittig (schmal) → Ursprung der Prostata Prostata Prostata und der prostatischen/membranösen Urethra bei Männern und der gesamten Urethra bei Frauen*
      • Distal → Penile Urethra bei Männern*
  • Analkanal Analkanal Rektum und Analkanal:
    • Aus dem posterioren Teil der Kloake
    • Verbindung mit dem sich entwickelnden Hinterdarm
  • Urorektales Septum:
    • Trennung des Sinus urogenitalis vom Analkanal Analkanal Rektum und Analkanal
    • Beginn am kranialenn/proximalen Teil der Kloake → Wachstum nach distal bis zur Außenseite des Körpers und Bildung des Damms
    • Bei fehlerhafter Bildung des Septums Entstehung von Fisteln zwischen dem Urogenitalsystem und dem Anorektum
  • Allantois (Drainage der Kloake durch die Nabelschnur Nabelschnur Plazenta, Nabelschnur und Amnionhöhle) → Umwandlung in das Ligamentum umbilicale medianum

Frühe embryologische Entwicklung des Genitalsystems

Überblick über die typische Geschlechtsentwicklung

Geschlechterdifferenzierung

Geschlechtsdifferenzierung aus dem mesonephrischen (Wolff-) und dem paramesonephrischen (Müller-) Gang:
Bei Frauen* bilden sich die Ducti mesonephrici zurück, während die Ducti paramesonephrici persistieren. Die Ducti paramesonephrici bleiben zum intraembryonalen Zölom (der späteren Peritonealhöhle) in der Nähe der Gonaden offen, und die kaudalen/medialen Enden verschmelzen in der Mittellinie zu einem gemeinsamen Körper und bilden den Uterus und die obere Vagina.
Bei Männern* sind die Ducti mesonephrici eng mit den Gonaden verbunden; sie treten auf jeder Seite separat in den Sinus urogenitalis ein und werden Teil des Ejakulationssystems, während der Sinus urogenitalis zu Blase und Prostata wird.

Bild von Lecturio. Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0

Embryologische Entwicklung der bipotenten Gonaden

  • Teil des intermediären Mesoderms mit Abdeckung des vorderen Teils der nephrogenen Stränge → Gonadenkamm
  • Epithelzellen im Gonadenkamm:
    • Vermehrung und Verdichtung
    • Eindringen in das Mesenchym zur Bildung von primitiven Gonadensträngen (immer noch indifferente Gonaden)
    • Diese Zellen bilden die Stromazellen:
      • Sertoli- und Leydig-Zellen bei Männern
      • Granulosa- und Thekazellen bei Frauen
  • Urkeimzellen:
    • Differenzierung in Spermatozoen oder Oogonien
    • Ursprung im Epiblast
    • Wanderung zum Dottersack → durch die Allantois ( Nabelschnur Nabelschnur Plazenta, Nabelschnur und Amnionhöhle) → entlang des dorsalen Mesenteriums des Hinterdarms → Genitalleisten
    • Eindringen der Keimzellen in etwa der 6. Woche in die Gonadenleisten
  • Entwicklung von Gonadensträngen in Kombination mit der Migration von Urkeimzellen = Bildung der Gonaden

Entwicklung der inneren männlichen Genitalien

Überblick über die männlichen Genitalstrukturen bei Erwachsenen

Strukturen des männlichen Fortpflanzungssystems

Strukturen des männlichen Fortpflanzungssystems

Bild : „Male Reproductive System“ von OpenStax College. Lizenz: CC BY 4.0 , bearbeitet von Lecturio.

Entwicklung der Hoden Hoden Hoden

Hinweis: Diese Animation hat keinen Ton.
  • Die männliche Entwicklung ensteht durch das Vorhandensein der geschlechtsbestimmenden Region des Y-Chromosoms (SRY-Gen):
    • Produktion des SRY-Proteins (auch bekannt als Hoden-bestimmender Faktor [TDF])
    • Stimulation der Differenzierung der bipotenten Gonaden in Hoden Hoden Hoden durch SRY/TDF, Anregung der Stromazellen zur Differenzierung:
  • Testosteron Testosteron Androgene und Antiandrogene:
    • Stimulation der Differenzierung der Wolff’schen/Mesonephrischen Gänge in:
      • Nebenhoden/Epididymis
      • Samenleiter/Vas deferens
      • Samenbläschen/Glandula vesiculosa
      • Ejakulationsgänge/Ducti ejaculatorii
    • Umwandlung durch 5α-Reduktase in Dihydrotestosteron (DHT) → Stimulation der Entwicklung von:
      • Prostata Prostata Prostata aus dem Sinus urogenitalis
      • Äußere männliche Genitalien
  • AMH → Rückbildung der Müller’schen/paramesonephrischen Gänge (die sich sonst zu inneren weiblichen Strukturen entwickeln)
  • Differenzierung der Urkeimzellen in Spermien
  • Weitgehender Abschluss des Differenzierungsprozess nach 12 Schwangerschaftswochen

Entwicklung der inneren weiblichen Genitalien

Entwicklung der Eierstöcke

  • Die Entwicklung der Eierstöcke aus den bipotenten Gonaden erfordert:
    • Fehlen des SRY-Gens (keine Differenzierung in Hoden Hoden Hoden)
    • Vorhandensein mehrerer Gene auf X-Chromosom
    • Beginn ab etwa der 10. Woche
  • Epithelzellen aus dem Gonadenkamm → Entwicklung zu Follikelzellen:
    • Zelltypen:
      • Granulosazellen
      • Theka-Zellen
    • Produktion von Östrogen → Bildung der äußeren weiblichen Genitalien
  • Urkeimzellen:
    • Entwicklung zu Oogonien
    • Assoziation mit den Follikelzellen

Entwicklung der Eileiter Eileiter Uterus, Cervix uteri und Tuba uterina, Gebärmutter Gebärmutter Uterus, Cervix uteri und Tuba uterina und Vagina Vagina Vagina, Vulva und Beckenboden

Schritt 1: Fusion der Ducti paramesonephrici

  • Verschmelzung der Gänge in der Mittellinie neben dem Sinus urogenitalis
  • Differenzierung der fusionierten Ducti paramesonephrici in:
  • Zunächst Bildung eines Längsmittellinienseptums durch die medialen Gangwände
    • Dieses Septum bildet sich normalerweise vollständig zurück und bildet einen einzigen Hohlraum.
    • Bei fehlender Rückbildung des Septums Entstehung eines longitudinalen Uterus-, Zervikal- und/oder Vaginalseptums
  • Keine Fusion der seitlichen Enden der Ducti paramesonephrici → Differenzierung zu Eileitern

Schritt 2: Verbindung der fusionierten Ducti paramesonephrici mit dem Sinus urogenitalis

  • Aus dem oberen Teil des Sinus urogenitalis Formation des Bulbus sinovaginalis
  • Bulbus sinovaginalis:
    • Zwischen den fusionierten Ducti paramesonephrici und dem Sinus urogenitalis
    • Verdickung und Wachstum zu einer festen Struktur namens Vaginalplatte
  • Vaginalplatte:

Entwicklung der äußeren Genitalien

  • Bis zur 6. Schwangerschaftswoche identische und nichtbinäre Geschlechtsentwicklung
  • Entwicklung der frühen Strukturen aus Falten der Kloake:
    • Genitalhöcker
    • Genitalfalten
    • Genitalwülste
  • Die Entwicklung der äußeren Genitalien hängt von den vorhandenen Hormonen ab:
Tabelle: Entwicklung der äußeren Genitalien aus frühen embryonalen Strukturen
Undifferenzierte Struktur In Gegenwart von Testosteron Testosteron Androgene und Antiandrogene Östrogen/Testosteronmangel
Urogenitalsinus
  • Prostatische Urethra
  • Membranöse Urethra
  • Prostatadrüse
  • Bulbourethrale Drüsen
  • (Harnblase*)
  • Weibliche Urethra
  • Bartholin-Drüsen
  • Skene-Drüsen
  • (Harnblase*)
Genitalhöcker (Bildung des Schwellkörpers)
  • Glans penis Penis Penis
  • Corpus cavernosum
  • Corpus spongiosum
  • Glans clitoris
  • Bulbus vestibularis
Genitalfalten
  • Penisschaft
  • Penile Urethra
Labia minora Labia minora Vagina, Vulva und Beckenboden
Genitalwülste Skrotum Labia majora Labia majora Vagina, Vulva und Beckenboden
*Hormonunabhängige Entwicklung
Phänotypische Differenzierung der äußeren Genitalien bei männlichen und weiblichen Embryonen

Phänotypische Differenzierung der äußeren Genitalien bei männlichen und weiblichen Embryonen:
Sowohl die männlichen als auch die weiblichen äußeren Genitalien entwickeln sich aus den gleichen Ausgangsstrukturen, differenzieren sich jedoch, da sie unterschiedlichen Androgen- und Östrogenspiegeln ausgesetzt sind.

Bild von Lecturio. Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0

Klinische Relevanz

Störungen der embryonalen Entwicklung des Harnsystems

  • Hufeisenniere Hufeisenniere Angeborene Nierenanomalien: Entwicklungsdefekt der Nieren Nieren Niere, bei dem die unteren Pole miteinander verschmolzen sind. Da die Niere während der Entwicklung normalerweise einen Ascensus durchläuft, wird sie durch die Arteria mesenterica superior blockiert. Die Gefäßversorgung und das Sammelsystem der Niere neigen auch zu unterschiedlichen Anomalien. Betroffene sind in der Regel asymptomatisch, wobei die Zufallsdiagnose oft durch eine Bildgebung gestellt wird. Andere klinische Symptome können Infektionen, Obstruktion, Hydronephrose Hydronephrose Hydronephrose und Konkremente sein.
  • Duplikaturen des Sammelsystems: Duplikaturen des Sammelsystems sind die häufigsten angeborenen Anomalien der Harnwege. In diesen Fällen hat eine Niere 2 separate Beckensysteme und 2 Harnleiter. Auch das Einführen des Harnleiters in die Blase aus dem duplizierten System ist oft anormal. Die meisten Personen sind asymptomatisch, obwohl wiederkehrende Harnwegsinfektionen (HWI) oder Obstruktion auftreten können.
  • Nierenagenesie Nierenagenesie Angeborene Nierenanomalien: angeborenes Fehlen einer Niere, insbesondere von Nierenparenchymgewebe. Dieses Fehlen resultiert aus einer Unterbrechung der metanephrischen Entwicklung. Die meisten Patient*innen sind asymptomatisch (weil sie eine andere normal funktionierende Niere haben) und werden zufällig bei der Bildgebung diagnostiziert. Die Nierenagenesie Nierenagenesie Angeborene Nierenanomalien ist oft mit zusätzlichen angeborenen Anomalien verbunden.
  • Posteriore Harnröhrenklappen: Persistenz der Urogenitalmembran, was bei Männern* zu einer Harnröhrenobstruktion führt. Betroffene Säuglinge stellen sich häufig in utero mit einer schweren bilateralen Hydronephrose Hydronephrose Hydronephrose vor, die im Ultraschall Ultraschall Ultraschall (Sonographie) gesehen wird und bei diesen Kindern eine Drucknekrose des Nierengewebes und eine chronische Niereninsuffiziens verursacht. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine Nierentransplantation Nierentransplantation Organtransplantation erforderlich ist.
  • Urachusfistel: Persistenz des Urachus. Der Urachus wird früher in der Entwicklung als Allantois bezeichnet und verbindet sich mit der Blase. Säuglinge mit einer Urachusfistel können bei der Geburt Urin aus ihrem Nabel verlieren.

Angeborene Anomalien des Fortpflanzungssystems

  • Gartner-Zysten: gutartige Zysten, die auf beiden Seiten der weiblichen Fortpflanzungsorgane (typischerweise der oberen Vagina Vagina Vagina, Vulva und Beckenboden) bestehen können. Diese Zysten stellen Relikte der Ductus mesonephricus Ductus mesonephricus Niere dar und sind in der Regel asymptomatisch.
  • Müller’sche Anomalien: Eine abnorme Verschmelzung der Müller-Gänge kann zu einer Vielzahl von uterinen, zervikalen und vaginalen Anomalien führen. Personen sind oft asymptomatisch, obwohl sie Infertilität oder Menstruationsbeschwerden zeigen können.
Fehlbildungen der Gebärmutter

Abbildung mit angeborenen Malformationen der Gebärmutter

Bild von Lecturio. Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0
  • Hymen-Anomalien: Das Hymen („Jungfernhäutchen“) ist die Membran, an der die Vaginalplatte auf den Sinus urogenitalis trifft. Normalerweise reißt das Hymen vor der Geburt, jedoch sind eine Reihe von Anomalien möglich. Ein unperforiertes Hymen lässt keinen Ausfluss von Uterusflüssigkeit zu und präsentiert sich typischerweise zu Beginn der Menstruation Menstruation Menstruationszyklus mit Schmerzen. Die Therapie ist chirurgisch.
Fehlbildungen des Jungfernhäutchens

Normales paröses Hymen im Vergleich zu häufigen Hymenfehlbildungen, einschließlich mikroperforiertes, septiertes, kribriformes und unperforiertes Hymen

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  • Hypospadie: angeborene Anomalie der männlichen Harnröhre, die durch eine abnorme Lage des Harnröhrengangs auf der ventralen Oberfläche des Penis Penis Penis gekennzeichnet ist und durch ein unzureichendes Schließen der Genitalfalten verursacht wird. Der Meatus kann sich überall von Glans, über Penisschaft, Skrotum oder Perineum befinden. Mündet die Urethra auf der Dorsalseite des Penis Penis Penis wird dies als Epispadie bezeichnet.

Varianten der Geschlechtsentwicklung

Varianten der Geschlechtsentwicklung sind eine Gruppe von klinischen Manifestationen, die durch eine atypische Geschlechtsentwicklung eines Individuums gekennzeichnet sind, die Anomalien in der Struktur und/oder Funktion der inneren Fortpflanzungsorgane und/oder der äußeren Genitalien beinhalten kann.

Manifestationen werden nach der amerikanischen DSD („disorder of sex development“) klassifiziert, wobei „Störungen“ eine Diskriminierung beinhalten und durch den Begriff Varianten ersetzt werden sollten.

  • Die AWMF-Leitlinien empfehlen folgende diagnostische Vorgehensweise:
    • Schon nach der Geburt eines Kindes mit vermuteter DSD soll eine kompetente und mit der Thematik vertraute psychologische Begleitung der Familie angestrebt werden. Bei nachgewiesener DSD soll eine Peer-Beratung
      hinzukommen.
    • Bestätigt sich eine Form von DSD, soll eine psychologische Begleitung auch während der weiteren Entwicklung, ggf. bis ins Erwachsenenalter angeboten werden.
    • Die weitere Diagnostik soll in einem Kompetenzzentrum mit einem multidisziplinären Team erfolgen.
  • Angeborene Nebennierenhyperplasie: Vermehrte Bildung männlicher Sexualhormone ( Androgene Androgene Androgene und Antiandrogene) mit Virilisierung der äußeren weiblichen Genitalien. Gekennzeichnet durch niedrige Cortisolspiegel, hohe ACTH-Spiegel und Nebennierenhyperplasie.
  • Androgeninsensitivitätssyndrom (AIS): Varianten in den Androgenrezeptoren verursachen eine teilweise oder vollständige Resistenz gegenüber Testosteron Testosteron Androgene und Antiandrogene. Genotypisch haben betroffene Personen einen 46,XY-Karyotyp und Hoden Hoden Hoden sind angelegt. Der Testosteronspiegel ist erhöht und ein Teil dieses Testosterons wird peripher in Östrogen umgewandelt. Klinisch präsentieren sich Personen mit vollständigem AIS ohne Schambehaarung und äußeren weiblichen Genitalien. Individuen werden normalerweise bei der Geburt ein weibliches Geschlecht zugewiesen und stellen sich in der Pubertät Pubertät Pubertät mit Amenorrhoe Amenorrhoe Kongenitale Fehlbildungen der weiblichen Geschlechtsorgane vor.
  • Aromatasemangel: führt zu einer Unfähigkeit, Testosteron Testosteron Androgene und Antiandrogene in Östrogen umzuwandeln, was hauptsächlich zu einer Virilisierung der äußeren Genitalien bei Frauen* führt.
  • 5α-Reduktase-Mangel: autosomal-rezessiv vererbte Manifestation, die die Umwandlung von Testosteron Testosteron Androgene und Antiandrogene in DHT beeinträchtigt und die vollständige Entwicklung der äußeren Genitalien bei Männern verhindert. Diese Störung führt bei 46,XY-Personen bei der Geburt zu mehrdeutigen Genitalien.
  • Komplette Gonadendysgenesie: führt zu nicht funktionsfähigen Gonaden. Bei 46,XX-Personen zeigt sich eine reine Gonadendysgenesie mit vorzeitiger Ovarialinsuffizienz (d.h. vorzeitiger Menopause Menopause Menopause) bei ansonsten normal aussehenden Frauen. Bei 46,XY-Personen ist der Zustand als Swyer-Syndrom Swyer-Syndrom Swyer-Syndrom bekannt; ohne funktionelle Hoden Hoden Hoden werden Testosteron Testosteron Androgene und Antiandrogene und AMH nicht produziert, sodass Individuen äußere weibliche Genitalien und normale Müller’sche Strukturen ausbilden. Betroffene Personen zeigen in der Adoleszenz eine primäre Amenorrhoe Amenorrhoe Kongenitale Fehlbildungen der weiblichen Geschlechtsorgane und das Fehlen aller sekundären Geschlechtsmerkmale.
  • Klinefelter-Syndrom: Chromosomale Aneuploidie, gekennzeichnet durch das Vorhandensein von ≥ 1 zusätzlichen X-Chromosomen in einem männlichen Karyotyp (z.B. 47,XXY oder 48,XXXY). In der Kindheit werden die Symptome normalerweise nicht beobachtet. Im Erwachsenenalter sind die Individuen typischerweise große Männer*, die sich mit Gynäkomastie Gynäkomastie Gynäkomastie und Unfruchtbarkeit Unfruchtbarkeit Unfruchtbarkeit im Zusammenhang mit Hypogonadismus Hypogonadismus Hypogonadismus präsentieren. Lernschwierigkeiten sind häufig damit assoziiert.
  • Turner-Syndrom Turner-Syndrom Turner-Syndrom: chromosomale Aneuploidie, gekennzeichnet durch das Fehlen eines X-Chromosoms bei einem weiblichen Karyotyp (45,X0). Klinische Manifestationen umfassen einen charakteristischen Phänotyp ( Kleinwuchs Kleinwuchs Kleinwuchs bei Kindern, breiter Nacken, weit auseinander liegende Brustwarzen) und multiple Anomalien, die normalerweise das Herz-, Nieren-, Fortpflanzungs-, Skelett- und Lymphsystem Lymphsystem Lymphsystem betreffen. Gonadendysgenesie und Infertilität sind wahrscheinlich.
  • Gemischte Gonadendysgenesie: Vorhandensein einer ovotestikulären Gonade, die sowohl ovarielle als auch testikuläre Elemente enthält. Betroffene Personen werden normalerweise mit mehrdeutigen Genitalien geboren, und die inneren Strukturen hängen vom angrenzenden Gonadengewebe ab. Der häufigste Karyotyp ist 46,XX.

Quellen

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  2. Saladin, K. S., Miller, L. (2004). Anatomy and physiology, 3rd ed., pp. 881–887
  3. Rehman, S. (2021). Embryology, kidney bladder, and ureter. StatPearls.
    https://www.statpearls.com/articlelibrary/viewarticle/36194/ (Zugriff am 12.10.2021)
  4. Moncada-Madrazo, M. (2021). Embryology, uterus. n StatPearls.
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  7. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – Ständige Kommission Leitlinien. (S2k) Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“. AWMF-Registriernummer 174-001.
  8. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – Ständige Kommission Leitlinien. (S2k) Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“. AWMF-Registriernummer 174-001.
  9. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – Ständige Kommission Leitlinien. (S2k) Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“. AWMF-Registriernummer 174-001.
    https://www.aem-online.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/S2k_Geschlechtsentwicklung-Varianten_2016-08_01_1_.pdf (Zugriff am 16.11.2022)

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